Sprechergagen KI

Generative KI & Sprachsynthese

Sollte eine Sprecherin oder ein Sprecher eine Anfrage im Bereich generative KI, Sprachsynthese oder TTS erhalten, raten wir dringend dazu, sich vor Abgabe eines Angebots mit dem Thema und seinen Auswirkungen intensiv zu beschäftigen.

Da das Thema KI und Sprache deutlich zu komplex ist, um ihm in einer Gagenliste gerecht zu werden, und da das Thema aktuell eine starke Entwicklung erfährt, deren Ende noch nicht absehbar ist und die Rechtslage ebenfalls noch nicht geklärt ist, stellen wir im Folgenden wertvolle Informationsquellen und Updates zu dem Thema zur Verfügung.

Einführung

Die Bedeutung des Themas KI und Sprache

Das Thema KI und Sprache ist das prägende Thema unserer Branche unserer Zeit. Und auch wenn jede technische Entwicklung nicht nur als Bedrohung sondern immer auch als Chance gesehen werden kann, sind sich Profisprecher:innen weltweit einig: Die KI-Technik wird die eigene Arbeitswelt revolutionieren. Die meisten Profis rund um das Sprechen blicken mit großer Sorge auf ihre berufliche Zukunft.

Wohin sich das Thema KI und Sprache letztendlich genau entwickeln wird, wie stark es durch politische Regulierung domestiziert werden könnte (und sollte), und wie es um Rechte bestellt ist, die einst zum Schutze von Künstler:innen errungen wurden – allen voran das Urheber- und Persönlichkeitsrecht und der Leistungsschutz – all das ist bislang ohne eine hochwertige Glaskugel nicht vorhersagbar.

Aus diesem Grund mahnen und warnen aktuell alle Berufsverbände rund um das professionelle Sprechen weltweit davor, KI-Aufträge unbedarft und undurchdacht anzunehmen. Denn auch wenn Auftraggeber:innen anbieten, eine KI-Nutzung der Stimme mit einer ansehnlichen Einmalzahlung zu vergüten, oder sie die große Chance auf regelmäßiges passives Einkommen anpreisen, kann aktuell niemand garantieren, dass ein KI-Auftrag nicht gleichzeitig auch den Total-Ausverkauf der eigenen Stimme bedeutet.

Wenn also eine vertragliche Übereinkunft über eine KI-Nutzung der Stimme vereinbart werden soll, muss nicht nur die Vergütung sehr attraktiv gestaltet sein; auch müssen alle weiteren Parameter, die die genauen Details einer solchen Nutzung definieren, klar und sorgfältig durchdacht und ausgehandelt werden. Das Konsultieren eines entsprechenden Fachanwalts oder die Beratung durch eine fachkompetente Person wird für diese Art der Verhandlungen dringend empfohlen.

Verband Deutscher Sprecher:innen (VDS)

Auch wenn der VDS erklärt...

Keine Gagenliste kann den vollständigen Verlust der Marktwirksamkeit eines/r Sprecher:in und der Selbstbestimmung über die eigene Stimme abbilden.

...gibt er auf seinen Seiten wertvolle und handfeste Tipps und Hinweise rund um Vertragsabschlüsse zum Thema KI und Sprache. Nachzulesen unter: www.sprecherverband.de/service/sprachsynthese-generative-ki.


TTS Gagenliste des VDS

Bereits im Jahr 2019, was in der KI-Zeitrechnung als eine Ewigkeit gesehen werden muss, hat der VDS eine TTS-Gagenliste herausgegeben, die damals einen ersten Versuch wagte, das Thema synthetische Sprache und Text to Speech im Hinblick auf Sprechergagen zu umreißen. Auch wenn diese Gagenliste auf die meisten aktuellen Anfragen keine passenden Antworten mehr zu geben scheint, kann die Lektüre dieser Liste bei der eigenen Kalkulation helfen:

VOICE Sprecherverband Österreich

Der Österreichische Sprecherverband VOICE betont...

...die Notwendigkeit, Missbrauchsrisiken zu beachten und zu vermeiden. VOICE spricht sich deshalb für klare Schutzmechanismen aus, um sicherzustellen, dass Sprecherinnen und Sprecher die volle Kontrolle über den Inhalt und ethische Maßstäbe behalten. Insbesondere im Bereich der künstlerischen Interpretation von Inhalten sehen wir den Einsatz künstlicher Stimmen kritisch.

Mehr dazu unter: www.sprecherverband.at/de/ki-und-sprache

NAVA

Die US-amerikanische Berufsorganisation NAVA (National Association of Voice Artists) mahnt in ihrer Überschrift:

Don't lose your voice forever

und fasst ihre Anliegen in drei Punkten zusammen:

Consent: Actors should have the right to decide whether or not they want their voice used for any purpose, including AI.
Compensation: Actors should be paid fairly for the use of their voice print and the licensing of their voice and/or likeness.
Control: Once a synthetic voice is made, the actor should be ensured that it stays where it is supposed to and isn’t used beyond the scope of any agreement made between the actor, AI company, and end client.
Nachzulesen unter: www.navavoices.org/fair-voices

UVA

Die United Voice Artists (UVA) ist die erste offizielle Föderation der professionellen Sprecher:innen, bestehend aus vielen nationalen Interessensvertretungen weltweit, die sich zum Thema KI zusammengeschlossen haben, um vor den Risiken zu warnen und für eine strenge Regulierung und ein Mitspracherecht der Künstler:innen zu lobbiieren.
Mehr Informationen zu der Vereinigung sind zu finden unter: www.unitedvoiceartists.com

Die UVA schließt sich einem 'JOINT STATEMENT' von allen kreativen Dachverbänden, bestehend aus Autoren, Journalisten, Musikern, Komponisten Filmemachern, Übersetzern und graphischen Künstlern an und schreibt:

We all share a common concern as generative AI rapidly spreads in a legal environment which is poorly enforced and lacks adequate safeguards regarding the use of our members' works and personal data for AI training purposes.
(...)
we must (..) insist on the absolute need for a human-centric approach to regulating generative AI.

Das gesamte Statement ist nachzulesen unter: www.composeralliance.org/media/1414-authors-performers-and-other-creative-workers-organisations-joint.pdf

Was passiert aktuell?

Derzeit schaut nicht nur die Sprecherwelt auf den AI-Act, der aktuell im Europaparlament ausgehandelt wird. Sprecher:innen und Kreative aus allen Gerken weltweit hoffen, dass dieser Gesetzestext das große Bedrohungspotential, welches das Thema KI für alle kreativen Berufe bedeutet, eindämmen und eine Signalwirkung in die Welt schicken kann.

Momentan befindet sich der AI Act in der Trilog-Phase, das heißt: Kommission, Rat und Parlament verhandeln über jeden einzelnen Paragraphen, jede Ausnahmeregelung und jeden Wortlaut.

Dass diese Verhandlungen so zäh sind und lange andauern, zeigt, dass die Ernsthaftigkeit und Komplexität des Themas KI und die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und Berufswelt in der Politik angekommen sind.

So lange noch keine gesetzliche Grundlage zum Umgang mit generativer KI existiert, können wir allen Kolleg:innen nur raten, sich in Geduld zu üben und wenn möglich, entsprechende Angebote noch nicht anzunehmen.


Was wird aktuell gesetzlich verhandelt?

Es gilt hier erst noch, scheinbar selbstverständliche Dinge zu klären, von denen Anbieter generativer KI Systeme und Zwischennutzer aus der Wirtschaft gerne ablenken würden, zum Beispiel:

  • Offenlegung der Trainingsdaten (Input):
    Nach derzeitigem Entwurf des AI Acts, wären kommerzielle Anbieter von generativen KI-Systemen (zu denen alle Sprachprogramme zählen) gezwungen, ihre Trainingsdaten offenzulegen und adäquat zu belegen, dass sie die Nutzungsrechte für das verwendete Trainingsmaterial auch besitzen. Somit könnten sich einige Programme nach Verabschiedung des AI Acts als nicht konform mit geltendem EU Recht herausstellen und wären damit zur kommerziellen Nutzung illegal.

  • Haftungsfragen:
    Weitgehend ungeklärt ist bis jetzt, wer im Falle von Missbrauch oder Verbreitung von Falschinformation zur Verantwortung gezogen wird. Die Erfahrung zeigt, dass es in der Regel nicht die Tech-Konzerne sind, sondern dass die Verantwortung auf die Zwischen- und Endnutzer abgewälzt wird. So lange dieser Bereich nicht eindeutig geklärt ist, kann es sein, dass Schadensansprüche gegen den Sprecher bzw die Sprecherin geltend gemacht werden können und dass wir als Einzelpersonen in der Beweislast stehen, dass wir nicht die Verantwortung für die verbreiteten Inhalte tragen.

  • Kennzeichnungsvorschriften (Output):
    Es wird nach heutigem Stand auch rigorose Kennzeichnungsvorschriften für von KI generiertem oder durch KI manipuliertem Material geben, um politische und journalistische Kredibilität zu erhalten. Dasselbe gilt auch für den kommerziellen Bereich der Werbung oder beim Filmsynchron. Da der hauptsächliche Mehrwert von KI-Material aber darin liegt, sich unerkannt „unterzumischen“, kann es sein, dass dieser Bereich spürbar an Attraktivität und damit an Wert verliert, sobald die entsprechenden Gesetze in Kraft treten.

  • Verletzung des Persönlichkeitsrechts und biometrische Daten:
    Nicht zu unterschätzen ist das Ausmaß an Schaden, der durch eine geklonte Stimme entstehen kann! Jeder Sprechende, der seine Dienste im Bereich KI und Sprache anbietet, muss das Muttermaterial, quasi die eigene sprachliche DNA bei einem Anbieter gespeichert haben. Sollte der Server dieses Anbieters gehacked und die entsprechenden Stimmdatensätze entwendet werden, ist ein irreversibler Schaden für den Besitzer dieser Stimme entstanden, der bis zum Identitätsdiebstahl gehen kann. Banken erlauben heute schon den Zugriff aufs eigene Konto durch Stimm-Identifikation und Scamming im Bereich der Familie oder des Arbeitsumfeldes wären dadurch Tür und Tor geöffnet. Jede Stimme ist einzigartig und zählt nicht umsonst zu unseren biometrischen Daten. Jedenfalls ist sie kein Passwort, dass man einfach ändern kann und einmal in den falschen Händen, kann so ein Stimmdatensatz sehr viel finanziellen, beruflichen, wie auch emotionalen Schaden verursachen.


Formulierungen zur eigenen Absicherung

Solange die gesetzliche Lage noch nicht eindeutig geklärt ist, empfehlen wir allen Sprecher:innen, folgenden Satz in ihre AGB und ihre gesamte Kommunikation (Aufträge, Rechnungen, Kostenvoranschläge etc.) aufzunehmen; egal, ob es sich um KI-Anfragen oder klassische Aufträge handelt:

Grundsätzlich ausgeschlossen, soweit nicht anders vereinbart, ist die Nutzung jeglicher Sprachaufnahmen zu Trainingszwecken für KI Programme sowie die Weitergabe oder der Verkauf der Aufnahmen an Dritte, nicht an der Produktion Beteiligte, insbesondere zur Nutzung im Zusammenhang mit KI Programmen, Machine-Learning, Stimmsynthetisierung oder Algorithmen.

Auch wenn dieser Passus einer missbräuchlichen KI-Nutzung der eigenen Stimme keinen sicheren Riegel vorschieben kann, sichert er Sprecherinnen und Sprecher zumindest grundsätzlich ab und sensibilisiert zudem den Auftraggeber für das Thema und dessen Bedeutung.

IN A NUTSHELL

Bei einer KI-Anfrage – mag die Vergütung auch noch so attraktiv erscheinen – handelt es sich in Fragen des potentiellen daraus schöpfbaren Volumens niemals einfach nur um einen weiteren Auftrag unter vielen.

Bei den derzeit unregulierten Marktrealitäten hat jeder KI-Auftrag das Potential, den Ausverkauf der eigenen Stimme zu bedeuten.

Es ist insofern dringend zu raten, dieser Gefahr mit Weitsicht und Verhandlungsgeschick und stets mit professioneller Hilfe zu begegnen!


Wir halten alle Interessierten auf diesem Kanal auf dem Laufenden.

Stand: 15.11.2023